Geschäftsbericht
INDUSTRIE 4.0 TO GO - ROUTENZUG OHNE FAHRER UNTERWEGS

Die Massenproduktion von unbemannt fahrenden Autos ist zwar noch Zukunftsmusik, aber die Herstellung nicht autonomer Autos mithilfe von autonomen Fahrzeugen ist in vollem Gange. Fahrerlose Transportfahrzeuge (FTF) und ihre kleinen Geschwister, Klein-FTF oder fahrerlose Transport-Carts (FTC), sind schon seit einiger Zeit in Produktions- und Logistikhallen unterwegs. Die meisten von ihnen jedoch spurgeführt oder mit fixen Referenzpunkten auf einer festgelegten Strecke. Die Schiller Automatisierungstechnik GmbH setzt vorausschauend sogar auf komplette Routenzüge, die autonom und völlig frei fahrend das erhöhte Verkehrsaufkommen in den Fabrikhallen entlasten.

Die selbstfahrenden Routenzüge sind bereits in der Automobilindustrie im Einsatz. Die Elektroschlepper befördern mit zehn Stundenkilometern auf vier Anhängern Produktionsgüter zu ihrem nächsten Einsatzort. Mithilfe von konturbasierter Lokalisierung weiß der Routenzug jederzeit, wo er sich befindet. Der autonome Zug muss nicht komplett neu gekauft werden; das vorhandene Transportsystem kann verwendet werden. Als Basis dient ein handelsüblicher Elektroschlepper, der von Schiller zu einem fahrerlosen Routenzug umgerüstet wird. Dadurch verringern sich die Investitionskosten erheblich. Das Umrüstkit enthält Sensoren für die Lokalisierung und die Sicherheit des Fahrzeugs sowie eine Steuerung. Der autonome Routenzug kann weiterhin auch manuell mit einem Fahrer genutzt werden.
Die Fähigkeiten der fahrerlosen Routenzüge gehen dabei über die Automatisierung früherer Lösungen hinaus. Sie ermöglichen eine dynamische Routenführung nach Lieferpriorität und eine aktive Umfahrung von Hindernissen. Die selbstständige Steuerung und Navigation der Routenzüge erfolgt über Lasersignale der 2D-LiDAR-Sensoren NAV310 von SICK. Diese liefern die präzisen Scandaten, die in der Sensor Integration Machine SIM2000 durch einen Algorithmus von SICK verarbeitet werden. Während der Verarbeitung vergleicht dieser Algorithmus kontinuierlich die aus den aktuellen Scandaten gewonnenen Entfernungen mit der Referenzkarte und liefert so ohne zusätzliche Reflektoren die derzeitige Position und den Orientierungswinkel des Fahrzeugs.
Die Markteinführung des SICK-Sicherheits-Laserscanners microScan3 Pro im Sommer 2018 brachte für die Entwicklung des autonomen Routenzugs den Durchbruch bei der Sicherheitstechnik. „Es war relativ schnell klar, dass für den Routenzug Sicherheitstechnik das zentrale Thema sein wird, weil man beim Routenzug oder beim Betrieb mit Anhängern im Allgemeinen die Spuruntreue der Anhänger als Aufgabenstellung hat“, erläutert Peter Stoiber, Leiter Entwicklung Automotive bei Schiller Automatisierungstechnik, die Anforderungen. „Die Norm verlangt, dass alles, was sich an Hindernissen im Fahrweg befindet, erkannt wird und das Fahrzeug gegebenenfalls so stoppt, dass keine Person gefährdet wird. Bei Kurvenfahrten muss die Schleppkurve der Anhänger berücksichtigt werden. Das kann bei großen Anhängern, je nach Kurvenradius und Kurvenwinkel, durchaus ein bis eineinhalb Meter Unterschied ausmachen.“ Die Schutzfelder des microScan3 Pro sind ideal für Kurvenfahrten und zum Einparken: Mit bis zu 128 frei konfigurierbaren Feldern und acht simultanen Schutzfeldern erfolgt eine flexible Anpassung an die Umgebung. Dank der Schutzfelder können die Routenzüge ihre Geschwindigkeit stufenweise reduzieren. Die Schutzfeldreichweite von 5,5 m ermöglicht die hohe Geschwindigkeit der Routenzüge und somit den hohen Durchsatz und eine hohe Produktivität.
»ES WAR RELATIV SCHNELL KLAR, DASS FÜR DEN ROUTENZUG SICHERHEITSTECHNIK DAS ZENTRALE THEMA IST.«
PETER STOIBER, LEITER ENTWICKLUNG AUTOMOTIVE,  SCHILLER AUTOMATISIERUNGSTECHNIK
Hinsichtlich der Mensch-Maschine-Interaktion hat sich Schiller für ein Wearable, ein mobiles Gerät, entschieden: Eine Smartwatch unterstützt die Logistikmitarbeiter beim Behälterwechselprozess und kündigt nahende Routenzüge per Vibrationsalarm an. Zusätzlich kann der Mitarbeiter ablesen, welche Behälter er entladen soll, und den Routenzug per Touchscreen zu seinem nächsten Ziel schicken. „Das Fahrzeug hat mit vier Anhängern eine Gesamtlänge von fast zehn Metern. Das heißt, wenn ich den vierten Behälter entfernt habe, müsste ich ja die zehn Meter nach vorne laufen, um die Starttaste am Fahrzeug zu betätigen, und wieder nach hinten laufen. Das sind alles Wegezeiten, die am Ende des Tages Geld kosten. Und das kann man sich mit der Uhr sparen“, beschreibt Peter Stoiber die Vorteile. 
Die Komplexität von Abläufen in Produktion und Logistik steigt stetig. Die zu produzierenden Losgrößen werden immer kleiner. Der Anspruch bleibt: ein Effizienzniveau, das dem der Massenproduktion gewachsen ist. Flexibilität und Geschwindigkeit sind gefragt. Daher werden starre Stetigförderer in den bestehenden Logistiklösungen ergänzt, z. B. um nach dem Taxiprinzip fahrende Flurförderzeuge. Eine Mischung aus automatisierten und manuellen Abläufen wird daher zukünftig mehr und mehr das Bild der Lieferkette bestimmen. Dieses komplizierte Logistiknetzwerk bedarf eines effizienten Managements. Transparenz über Systemgrenzen hinweg wird dafür mehr denn je benötigt: auf der Fördertechnik, auf dem Stapler, die Bewegung der Palette im Lager betreffend oder im nächsten Umschlagsdepot – entlang der gesamten Wertschöpfungskette. 

Lokalisierungstechnologie ist hierbei einer der Schlüssel zu einer vernetzten Produktion und Logistik im Sinne von Industrie 4.0. Mit ihr lassen sich eine Vielzahl an Optimierungspotenzialen ausschöpfen, indem eine agile Planung von Fertigungsabläufen und logistischen Prozessen ermöglicht wird. ///